10 Jahre Freiheit

Als sich im Jahre 2006 Natascha Kampusch selber befreien konnte und nur kurze Zeit danach in Fernsehinterview gab, saß auch ich gebannt vor der Glotze und beobachtete jede ihrer Regungen und Worte. Was für eine erstaunliche junge starke Frau! Als dann ihr Buch erschien, war mir klar: das lese ich nicht. Bewußt mir Trigger reinziehen, die Zeiten sind vorbei. Den Film wollte ich demnach natürlich erst recht nicht sehen. Aber als ich in der Bücherei ihr 2.Buch sah. 10 Jahre Freiheit, wußte ich: Das muss mit! Wie geht so eine schwer traumatisierte Frau mit ihrer Vergangenheit um? Da war ich schwer neugierig. Wie geht es ihr jetzt?

Ich las es in 2 Tagen durch. Die Frau ist immer noch sehr klar und gut reflektiert. Oder einfach stumpf und abgespalten? Völlig dissoziiert? Das kann wohl nur ein Profi nach genauer Untersuchung feststellen.

Wer meint, das nach ihrer Gefangenschaft nun alles besser wurde, irrt leider. Unfassbar das noch zweimal (!) der Fall juritisch aufgerollt wurde. Was hieß: Wieder Aussagen, wieder vor Gericht, wieder ständige Belagerung von Journalisten. Dazu viele Verleumdungen, Demütigungen, ja körperliche Angriffe von wildfremden Personen auf offener Straße! Wilde Spekulationen rissen sie immer wieder neu aus der gerade gefundenen Ruhe: Ein Kind hätte sie mit dem Täter! Es war ein ganzer Pornoring daran beteiligt! Sie hat den Täter umgebracht! Es müssen mehrere Täter gewesen sein! Sie hätte ja sooft fliehen können! Und vieles mehr.

Egal was sie tat, es passte nicht: Verkroch sie sich, wurde gemosert sie solle mal was sagen, folgte sie einem Ratschlag und ging auf Partys hieß es: ach so schlimm konnte es doch nicht gewesen sein, gab sie Interviews und veröffentlichte ein Buch hieß es: ach jetzt will sie sich wichtig machen und Kapital aus ihrer Geschichte schlagen. Half sie Kindern und Müttern auf Sri Lanka hieß es: ja hier (in Österreich) leiden auch viele Menschen!

Sie war nicht das Opfer wie man es sich vorstellte: Heulend, verstört, stammelnd, sie versank nicht in Drogen und Alkohol, auch das war wieder nicht „richtig“. Jeder machte sich ein Bild darüber wie sie zu sein hatte!

Alte Weisheit: Man kann es niemandem recht machen. Auch Briefe und Geschenke mit perversen Phantasien erhielt sie, natürlich auch Heiratsangebote, Geld aber eben auch viel Ermutigung und Ermunterung, viel Zuspruch und die besten Wünsche!

Auch ich staunte, als ich damals hörte, dass sie tatsächlich das Haus in dem sie 8,5 Jahre gefangen war nun selber besaß. Ach dachte ich, wer weiß ob es stimmt. Es stimmt und Frau Kampusch erklärt auch warum sie das tat (sie bekam es zugesprochen, sie kaufte es nicht!) und jetzt verstehe ich sie sehr gut.

Sie denkt sehr positiv und ist stark in ihrem Willen. Nur einmal lässt sie duchblicken, das auch sie schlechte Tage hat, sich nicht hinaus traut, von den ganzen Reizen überflutet wird und mit vielem nicht zurecht kommt. Gejammere hört man nicht.

Trotzdem gab es schon auch Stellen wo ich das Buch weglegen musste. Wenn es kurze Rückblenden gab, wie so ein Mann dich psychisch gefangen hält, mit diesen Spielchen, „Späßen“, Drohungen. Einen klein hält, erniedrigt, einen instrumentalisiert. Wenn jeder Schritt überwacht und kontrolliert wird,man völlig fremdbestimmt ist. Wenn man von den anderen isoliert wird: keiner mag dich, schau sie hat dich vergessen, sonst hätten sie dich doch schon gefunden, nur ich bin noch für dich da, bei mir bist du sicher, du bist mein ein und alles, ich tue alles für dein bestes, ich tue doch soviel für dich… usw.

Der Täter musste alles unter Kontrolle halten. Alles war immer super sauber und extrem ordentlich.

Sie beschreibt wie über eine lange Zeit diese Geflecht aus Abhängigkeit, Macht und dessen Mißbrauch entsteht. Dass das durchaus hinter der anständigen Fassade eines normalen Bürgers von statten geht! Egal welcher Schicht!

Ich habe auch so einen Psychopathen gekannt. Mit 16 zog ich zu ihm und auch ich konnte mich nach 1,5 Jahren selber befreien. Es war auch eine heimliche Flucht. Weil ich wußte, das er austickt, weil sein Objekt das er so sehr braucht nicht mehr da ist. Er ist ausgetickt, hat aber seine Aggression nach außen gebracht (ich war in Sicherheit) und leider nicht gegen sich selbst.

Es lief dieselbe Psychomasche, dieselben Spielchen, er hatte denselben Putzfimmel und er vergötterte und hasste gleichzeitig seine Mutter. Ich bin da extrem feinfühlig und hellhörig geworden, wenn jemand nur den Hauch einer Manipulation erkennen lässt, bin ich weg.

Auch in meinem Elternhaus liefen einige dieser Methoden alltäglich ab, von daher war ich ein leichtes Opfer für diesen Mann. Ich kannte es ja schon. Psychische Gewalt und narzisstischer Mißbrauch ist genauso verletzend und schädlich wie jede andere Gewalt auch! Und sie ist alltäglicher, ob zuhause, in der Arbeit, sie ist weit verbreitet.

Frau Kampusch schrieb wie sie ihre innere Identität nicht aufgegeben hat und sich ihren Willen nicht brechen ließ. Ich wünsche ihr, dass das wahr ist. Sie fühlte sich von ihren Eltern geliebt. Auch wenn es nicht die beste Umgebung war in der sie aufwuchs (sozialer Brennpunkt, Überforderung der Eltern, Scheidung, emotionale Kälte ect.) fühlte sie sich wohl in ihrer Persönlichkeit gestärkt.

Ihr Täter war ein Unbekannter auch das ist vielleicht für die Verarbeitung von Vorteil. Bei mir war es massiver Vertrauensbruch.

Sie blickt hauptsächlich nach vorne, sie gibt ihr bestes um ihr Leben voll auszukosten und es so zu leben wie sie es will.

Von Herzen wünsche ich Ihr alles Gute dafür!

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