Manchmal frage ich mich schon, ob meine „schlechte Arbeitsmoral“ wirklich nur eine Traumafolgestörung ist. Ja, ich habe mit drohendem Autonomieverlust/ ausgeliefert sein (ich MUSS da jetzt bleiben und das und jenes machen) und mit der Angst vor Bewertungen (soziale Phobie) extreme Probleme,
aber es wäre auch interessant zu erfahren, wie es mir ergehen würde, wenn ich gewisse Dinge anders erlebt hätte. Das wären konkret 2 Sachen:
1. ich bekam 12 Jahre mit, dass man auch leben kann, wenn man nicht arbeitet. Mein Vater arbeitete in dieser Zeit nicht (weder in einem Lohnverhältnis noch in der Hausarbeit) er frönte seinen Hobbys und schlief viel und lange. Dass er eine heftige Angststörung hatte und vieles nicht machen KONNTE erfuhr ich ab dem Zeitpunkt als ich in den Kindergarten kam und er mich manchmal nicht abholen konnte (Haus verlassen und so war für ihn halt oft schwierig), das hieß: ich fuhr mit dem Taxi heim oder wartete ewig lange bis meine Mutter mit dem Fahrrad kam, mich in den Bus setzte und mit dem Radl hinterher fuhr. Er überwand seine Angststörung als er arbeiten und sich um sich selber kümmern MUSSTE. Meine Mutter hatte das alles nämlich irgendwann satt (kann ich echt verstehen und wunderte mich wie lange sie das überhaupt aushielt!), sich scheiden ließ und mit uns Kindern wegzog. Gut, seine Angststörung war zwar „weg“ dafür explodierte sein Narzissmus: er kontrollierte vor allem mich um so mehr und machte mich zu seiner Bezugsperson. Er manipulierte, erpresste emotional und erkaufte sich meine Zuwendung, bis auch ich mit Anfang 30 von seinen Psychospielchen die Schnauze voll hatte und den Kontakt kappte.
Die Frage ist: Gäbe es keine Rente und/oder keine Grundsicherung für mich, würde dann das mit dem arbeiten bei mir klappen? Weil ich ja „müsste“?
2. Verwöhnung und Vernachlässigung sind die zwei Seiten derselben Medaille. Meine Mutter hat mich ja noch nie besonders oft „gesehen“, ich fühlte mich nie wirklich von ihr wahrgenommen, aber ab meinem 12. Lebensjahr als die Scheidung durch war und sie einen anderen Mann heiratete (einer der arbeiten ging UND im Haushalt half!) war ich vollends abgeschrieben. Es wurde weder das positive wahrgenommen: dass ich erst Klassen- dann Schülersprecherin wurde, teilweise sehr gute Noten schrieb, die Abschlußrede für einen Direktor schrieb und hielt, eine Goldmedaille im schwimmen gewann usw. noch das schlechte irgendwie angesprochen: ich klaute Geld aus der Sparkasse meiner Mutter und Stiefvater (wo sie ihr Trinkgeld sammelten) was angeblich keinem auffiel, ich durfte mit 14J. mit meinem 1. Freund nach München (!) aufs Oktoberfest (!) alleine fahren, ich war nächstelang weg (bei irgendwelchen Männern,Blind Dates, teilweise auch in München, also 1 Stunde Zugfahrt entfernt!), als ich beim rauchen erwischt wurde, gab es eine Ministandpauke, Haare abrasieren? tätowieren? Nasenpiercing stechen lassen? ja… ein wenig Entrüstung, dann hatte sich das Thema, tagelang in der Berufsschule fehlen, hatte KEINERLEI Konsequenzen!! Ich trank als Jugendliche viel Alkohol, ich war mit meiner Mutter in Bars und Discotheken, es gab keinerlei Einschränkung. Es herrschte keinerlei Interesse, was mich interessierte, was ich tat oder nicht…dann die erste Ausbildung als Arzthelferin, war mir zu blöd, zu anstrengend, zu alles…also abgebrochen…kein Gespräch warum und wieso und wie man mir hätte helfen können, NICHTS. Als ich mit 16 dann ausziehen wollte, zu meinem Freund nach München, musste ich nur ein wenig bitten, dann packte ich die Kisten. Meine Schwester flippte aus, weil bei ihr natürlich noch alles Kampf war, sie durfte damals nicht soviel, als sie so alt war wie ich, sie ist 3 Jahre älter.
Ich spürte keine Regeln. Keinen Halt. Keine Orientierung. Kein: So gehts nicht weiter.
Meine Schwester warf mir mal vor, dass ich immer den einfachsten Weg ginge. Da war ich so Anfang 20 und ja so unrecht hatte sie da nicht. Ich tat es aber auch, weil es MÖGLICH war! Und nie für etwas kämpfen, nie sich durch etwas durchboxen, nie mit der Enttäuschung eines NEINS zurecht kommen müssen, mag zwar toll erscheinen, ist aber fürs Selbstwertgefühl desatrös. Es fühlt sich nämlich toll an, etwas zu schaffen was einem nicht leicht fällt, oder selber Schwierigkeiten lösen müssen oder mal sich selber auf die Hinterfüße stellen müssen damit man was erreicht.
Ein klein wenig (aber viel zu kurz und viel zu spät) bekam ich dieses Gefühl im Sommer 1998 zu spüren. Wenige Monate zuvor bekam ich von meinem Opa 3000,-DM zu meinem 18. Geburtstag geschenkt, für den Führerschein. Das Geld war aber in wenigen Wochen weg für: ausstehende Miete, Restschulden und ganz viel Party und Essen bestellen und einfach mal kaufen, kaufen, kaufen! Es war ein toller Sommer, unvergesslich! Aber dann wollte ich doch noch den Führerschein machen und tja..was nun, ohne Geld. So jobbte ich im Hochsommer bei 30 Grad viele viele Tage in einer Wäscherei an der Heißmangel, also irre heiß, ein Knochenjob. Aber im März 1999 hatte ich meinen Schein in der Tasche für den ich so geschuftet habe! Der war mir heilig! Ich schätzte das so sehr! Ich glaube ich fühlte das erste mal Stolz! Was ich da geschafft hatte! JUHU!
Später half mir mein Vater dann immer finanziell, egal was ich verbockte, egal ob ich gut verdiente und trotzdem Schulden machte…
Man tut seinen Kindern damit nichts gutes sie so zu „umsorgen“. Einmal wünschte ich mir eine sündhaft teure Jacke. Nach langem betteln bekam ich sie. Nicht zum Geburtstag, nicht an Weihnachten, sondern einfach so. Nach wenigen Tagen war sie weg. Ich legte sie in einer Bar (ich war 15J.) in eine nicht beaufsichtigte Garderobe und klar wurde sie gestohlen.
Ich durfte alles, aber war todunglücklich. Es war kein Paradies. Ich versuchte mich umzubringen. Weil es keinen interessierte was ich tat und wer ich war. Stummer Schrei nach Liebe…der Song der Ärzte traf mich voll!
Mit 26 flog mir dann alles um die Ohren, Zwangsräumung der Wohnung. Seitdem kümmere ich mich mehr und besser um meine Sachen, zumindest den finanziellen. Aber ansonsten fällt es mir teilweise wahnsinnig schwer mir selber Regeln oder mal Verbote aufzustellen, etwas durchzuhalten/machen auf das ich gerade wenig bis keine Lust habe oder auch einfach nur auf ein Ziel in weiter Ferne hinzuarbeiten ist mir schier unmöglich.