Es treibt mich weiter um, wie sehr ich wieder in der Gefühlsverleugnung war. Und umso besser geht es mir jetzt, dass ich mich wieder spüre! Klar ich merke, dass ich seit über einem Jahr keine Therapie habe, denn dort fiel es mir leichter anzuschauen was dann da „schlimmes und überwältigeendes“ in mir lorderte, aber ich kann ja nicht lebenslang in Therapie gehn.
Du sollst nicht fühlen ist kein kirchliches Gebot, abr es war in unserer Familie eines.
Ich habe Angst: ach da brauchst du keine Angst haben, das ist gleich vorbei und tut gar nicht weh (was selten stimmte, was doppelt schlimm war weil so musste ich meine Angst und meinen Schmerz/Leid unterdrücken)
Ich will das nicht: ja aber da musst du halt jetzt durch
Wenn ich still war: jetzt sei halt nicht so bockig…
aber auch bei „schönen“ Gefühlen. Wenn ich zum Beispiel aufgeregt war (egal ob wegen was schlimmes oder schönen, hat sich meine Stimme „überschlagen“ und es hörte sich sehr nasal an, die Energie das kribbeln im Bauch strömte quasi durch eine Nase, was Anlass war das sich meine Familie über mich lustig machte und mich beschämte. Ausdruck von Lebensfreude durch tanzen oder singen? Die spinnt…jeder Gefühlsausdruck wurde immer bewertet.
Noch heute erwische ich mich dabei, mir zu verbieten zu tanzen wenn ich Lust drauf habe und ein Lied im Radio kommt das ich mag, oder mal vorm Spiegel bissl rumzualbern …das ist KINDISCH.
Ich habe ein Foto wo ich es endlich deutlich sehe und einen Beweis habe: Es war abends auf der Theresiewiese, wir wateten auf den Bus der uns nach Berlin zur Loveparade bringen sollte. Ich war immer ein leidenschaftlicher Technofan und endlich sollte es auf DIE Party gehen. Es ging eine Sektflasche rum, ich trank, tanzte und lachte verschmitzt in die Kamera, meine Schwester daneben schaut mich voller Verachtung an.
Ich verbot mir zu fühlen. Ich fühlte nicht, dass der Beruf der Kinderpflegerin mir überhaupt nicht taugt, aber ich dachte halt, mei wem macht Arbeit schon Spaß. Dass sie das sehr wohl tun kann, erfuhr ich leider erst später.
Das ich den Typ mit dem ich zusammen wohnte und so tat als wären wir ein Paar, nocht nicht mal leiden konnte geschweige denn liebte, spürte ich ebenso nicht. Wir hielten Händchen, knutschten, verbrachten unsere Freizeit mit einander, fuhren in Urlaub, hatten Sex und ich mochte ihn nicht. Nicht seine Tics, nicht seinen extremen Zigarettenkonsum, nicht seine Schlaksigkeit und schon gar nicht keine krankhafte Kontrolle. Ich merkte das erst als ich immer kränker wurde und ein Arzt vertraulich mit mir sprach und mich auf etwas aufmerksam machte.
In der Sexarbeit spürte ich keinen Ekel, keinen Widerwillen, nur wenn ich Angst spürte nahm ich diese ernst und traf mich nicht mit Typen die mir komisch vorkamen.
Mit Gefühlen umgehen habe ich in meiner Familie nicht gelernt, alle unterdrückten ihre eigenen, mein Vater verlies vor lauter Angst das Haus nicht mehr, meine Muter soff und meine Schwester wurde das perfekte Vorzeigekind (und Jugendliche) eiskalt und sadistisch.
Als ich anfing mithilfer ersten Therapien meine Gefühle zu entdecken und sie ernst zu nehmen wurde ich ganz schnell das schwarze Schaf in meiner Familie. Ich entschied nämlich so Sachen wie: Nein ich möchte nächsten Sonntag nicht zu Besu kommen, nein ich will nicht die Geldkarte von Papa, nein ich möchte dieses Jahr Weihnachten anders feiern, nämlich auf einer Party. Ab da wurden alle Manipulationen und Erpressungen noch schärfer und somit offensichtlicher. Das war nicht leichter, bestätigte mich aber, das ich auf dem richtigen Weg bin, zumal es mir körperlich und seelisch um Welten besser ging!
Dabei sind Gefühle weder gefährlich noch schlimm. Sie wollen meistens nur wahr und ernst genommen werden. Das muss man aber erstmal wissen UND ausprobieren, dass das wirklich so ist. Es muss nicht gleich weitreichende Konsequenzen haben. Nur weil mich mein Mann grad nervt heißt das nicht dass wir uns gleich scheiden lassen müssen, nur weil ich heute keine Lust auf Arbeit habe, heißt das nicht dass ich kündigen und ab sofort unter der Brücke schlafe muss.
Klar manchmal muss man auch handeln, ich hatte irgendwann all die Schikanen meiner Familie so satt, dass ich mit 32 Jahren sagte: So Schluß aus, ich will keinen Kontakt mehr zu euch, macht euren Scheiß alleine! Und fast zeitgleich konnte ich das rauchen sein lassen! Ich musste mithilfe der Zigaretten nichts mehr wegdrücken. Das jährt sich nächsten März nun zum 10. mal und das macht mich stolz.
Das wir leider derzeit wieder in einem Klima des „du darfst nicht fühlen“ sind, triggert mich. Wenn jemand Bedenken wegen Corona hat, sei es an der Krankheit an sich, wegen der Impfung oder wegen der Politik wird man sofort als rechter, verblödeter, verschwurbelter, asozialer Esoteriker/Volldepp/ect. hingestellt.
Eine Autorin die mir geholfen hat, meine Gefühle wieder zu entdecken ist Safi Nidiaye. Sie schreibt klar und gut verständlich, immer wieder hole ich mir ihre Bücher hervor.
Ein anderes Buch, das mir die Augen öffnete war: Gefühlsstau von Hans-Joachim Maaz, ich las es eher weil es darin um das politische System der DDR ging und mich das schon immer faszinierte und interessierte, wie die Menschen das damals erlebten, wie es ihnen ging, wie sie das aushielten. Das Buch fesselte mich, manchmal spürte ich so eine extreme Unruhe und Wut in mir, dass ich es weglegen und mich erstmal irgendwie austoben musste. Bis ich erkannte: So war unser System in der Familie auch! Ich wurde massiv getriggert. Mir gingen die Augen auf. Es war schmerzhaft aber auch sehr hilfreich zu erkennen: Mein Widerstand und meine Rebellion und meine Abneigung gegenüber meiner Familie haben einen Grund!
Nunja, heute muss ich zum Glück nicht wieder bei 0 anfangen. Ich bin schneller bei meinen Gefühlen. Manchmal stelle ich sie mir als Wesen vor: Die gebeugte Angst, die plumpe gemächliche Gelassenheit, manchmal rede ich mit inneren Anteilen, mit dem ängstlichen Kind, mit der eigenbrötlerischen Jugendlichen, auch das hilft…da findet jeder seine eigene Methode.
Im Land der Dichter und Denker wär es schön, wenn man abundzu auch auf seine Gefühle schaut und dass diese eine Berechtigung haben. Den Weg des Herzens gehen