Häutungen

Ein Buch von Verena Stafan. War wohl DIE Kultschrift im Feminismus der 70er Jahre.

Auch mich hat es schnell in seinen Bann gezogen, sodass ich erst bei Seite 7 merkte, dass alles klein geschrieben war. Was mich jetzt nicht störte. Es sind persönliche  Aufzeichnungen, Notizen und Tagebucheinträge der Autorin.

Kursiv geschrieben sind Zitate aus dem Buch.

Ich lächelte ununterbrochen. geheimnisvoll lächelnd in der welt um asyl bitten, bittenden auges die zulassung erfragen, mit leiser stimme wohlklingend unterwürfig. unterlasse ich das lächeln und schaue einen mann, der mich belästigt, zornig an oder werde handgreiflich, so bin ich „zickig“, „unverschämt“ – und gefährdet.

Wenn ich zu ihm kam, stand er gedankenschwer vom schreibtisch auf. ich hatte geduscht. er hatte gedacht. „Ja, vielleicht liegt mir gar nichts an einem anderen menschen“ sann er einmal. „aber ich brauche manchmal auch wärme und feuchtigkeit“. Ein mensch der wärme und feuchtigkeit braucht, was gibt es dagegen zu sagen? Wohlgemerkt nicht nach Wärme und Zärtlichkeit.

Nach wie vor kann ein mann seine verkümmerung in die vagina einer frau entleeren, ohne das sie als person in seiner wahrnehmung vorkommt.

Sie schreibt, wie sehr sie sich nach dem Manne orientiert, egal wie er es am liebsten hat, so haben wir es auch am liebsten.

Ich legte einen vorrat von mir an. Wenn mir DAS mal gelinge…

trotz aller schmerzhaften abdrücke war ich insgeheim in einem teil von mir stolz darauf, es mittlerweile so weit gebracht zu haben, dass ich ohne viel federlesens mit einem mann ins bett gehen konnte.

Sie schreibt von dieser ständigen Begutachtung, der Belästigung und den vielfältigen Grenzüberschreitungen durch Männer, dass mir ganz anders wurde und ich voller Wut Herzrasen bekam. Weil das JEDE Frau erlebt.

Wenn ich verhüte, werde ich noch kränker, als ch es schon bin. um mit einem mann schlafen zu können, muss ich PATIENTIN werden. verhütung ist zu einem unlösbaren problem geworden. ich bin mir wichtiger als die vereinigung mit einem penis. ich bin von mir durchdrungen.

Ich nicke. ja sage ich zu ihr, mir geht es ähnlich. ich bin immer noch genesungsbedürftig. die erholung, die ich nach den schädigungen der letzten zehn jahre benötige, dauert länger, als ich vermutet habe. ich verspüre keine bedürfnisse nach sexualität. ich möchte ruhe haben, friedlichkeit und zeit zum schreiben.

So ähnlich geht es mir auch. Sagte ich Ende des Frühjahrs, das ich im Sommer nicht arbeite und für mich sein will, um mir im Herbst wieder Arbeit zu suchen. So suche ich zwar, aber teils sehr widerwillig. Ich habe keine Kraft übrig, die ich anderen geben kann. Ich bin auch nicht sonderlich gesellig. Grundsätzlich nicht und derzeit erst recht nicht. Der Kontakt zu mir selbst ist extrem wackelig. Das wäre meine Arbeit, dafür zu sorgen, dass ich gut in Beziehung zu mir selbst bin.

sie schreibt wie wir Frauen, mit eigenen Händen unser Herz an den Mann verfüttern, in der Hoffnung, dass auch er uns nährt und umsorgt, dass auch wir etwas von ihm bekommen. Doch er will mehr, immer mehr,  unseren Körper sowieso, aber auch unsere Würde, unseren Willen, unseren Verstand. Meistens hat er leichtes Spiel…

Mich berühren solche Aussagen sehr. Und sie geben mir neue Kraft. Aufzuhören mit der Selbstverleugnung, mit der Coabhängigkeit, mit der Vorstellung, dass wenn ich nur ein braves Mädchen bin, mir nichts mehr passiert und alle lieb zu mir sind.

So angestachelt, kam mir der Typ im Chat gerade recht, der verheiratet ist und eine Affäre sucht. Oje. Mei sage ich, früher hätt ichs für Geld gemacht. Jetzt sei er ein Jahr zu spät dran. Ob ich nicht eine Ausnahme machen könne, es würde ihm gefallen. ABER MIR NICHT. „Du benutzt Frauen als Objekt für deine Befriedigung!“ ach meinte er, jetzt stelle ich ihn als Arschloch hin, das er gar nicht sei. Achje, der arme….Mein Körper sei ein Tempel und da lasse ich nur auserwählte hinein, sage ich und nur wenn Liebe mit im Spiel ist. Na wegen Sex lasse er sich jetzt nicht scheiden (wohlgemerkt, wir kennen uns nicht und schrieben da gerade mal 20 Minuten) und wer weiß, vielleicht könne er mich ja lieben. Tönts von ihm. Als ob ich noch an den Prinzen auf seinem scheiß Gaul glauben würde…jaahaaa sage ich, deine Liebe geht nicht weiter als bis zum Samenerguß. Er lachte nur. Anfangs war noch die Rede davon, dass er noch nie bei einer Frau gegen Geld war, weil er das widerlich findet wie die da im Zimmer hocken und auf die Freier warten. Frag mal die Frau was sie daran widerlich findet. Ich glaube das warten ist da das harmloseste.

Ich weiß nicht, ob ich mir selbst das mal verzeihen kann, dass ich die Männer selber so bedient habe. Da machte ich schon jahrelang Therapie und geb mir dann die krasseste Form der Selbstverletzung. Voller Selbstverleugnung und Selbstentfremdung war mal wieder nur die Bedürfnisse des anderen wichtiger.

Gut gelernt, ist halt gut gelernt.

Warum der Ausstieg so schwierig ist Teil 3

Was nicht zu unterschätzen ist, ist der Adrenalinkick. Zumindest am Anfang. Ich habe immer „escort-ähnlich“ gearbeitet, sprich ich habe mir die Männer ausgesucht, also wann ich was wo mit wem mache. Größtmögliche Selbstbestimmung.

Wenn man mich sieht, schätzen mich die meisten als ruhige, zuverlässige, ganz brave Frau ein. Das bin ich natürlich auch, aber nicht immer. Ich habe es schon immer gebraucht da auszubrechen. Zu provozieren. Zu rebelllieren. Mal Tatoos, mal Piercings, mal verrückt gekleidet auf einem illegalen Rave getanzt, riskant Auto gefahren, zuviel getrunken und gekauft, abgehaut, Haare abrasiert. Bloß nicht bürgerlich und spießig. Immer wieder diese Kicks. Diese Adrenalinkicks. Wie schon geschrieben: davon kann man süchtig werden.

Man macht sich hübsch, man trinkt einen Sekt, man wird begehrt, die Männer finden einen toll, sie zahlen viel für einen, man macht etwas Außergewöhnliches, auch was Neues, was Lustiges (man erlebt da unglaubliche Sachen!), man kommt in schöne Hotels, zu teurem Essen, das Ego blüht auf! Das will man nicht missen.

Dieses Doppelleben das anfangs so faszinierend war, war zum Schluß nur noch belastend. Man kann der Nachbarin, Freundin, Bekannten nicht erzählen wohin man jetzt wirklich geht. Man muss viel lügen. Bei anderen und bei sich selbst. Man verdrängt (das hat man ja von klein auf gelernt) das manches nicht toll ist was man macht, dass da was nicht gut riecht und nicht gut aussieht, dass man das jetzt eigentlich doch nicht wirklich machen möchte und schon gar keinen Spaß hat, aber so tun muss als ob.

Und langsam bekommt die Fassade Risse. Man merkt danach, dass man sich scheiße fühlt. Man spürt immer öfter, dass man das und jenes nicht machen möchte. Das es keinen Spaß mehr macht.

Man denkt ans aufhören. Dann beschließt man aufzuhören. Um nach wenigen Tagen doch wieder Mails schreibt und mit einem Kunden ein Treffen ausmacht. Oder ein Stammkunde meldet sich wieder. Ok, nur noch einmal, sagt man sich. Und belügt sich schon wieder selbst.

Wenn man aufhören will wird einem immer klarer, warum man angefangen hat: es tauchen alte unangenehme Gefühle auf: Einsamkeit, Langeweile, keine Bewunderung mehr, keine Adrenalinkicks, weniger Geld…man wird regelrecht rückfällig….der nächste Mann ist ja nicht weit weg….

Warum der Ausstieg so schwierig ist Teil 2

Der Absatz von Frau Mau beinhaltet vieles was mich auch betrifft.  Zum Beispiel die schlechte Selbstfürsorge, die hatte ich schon immer. Leider. Viel zu dünn angezogen, nicht merken, dass man auf Toilette muss, bis hin zu verfilzten Haaren (in meiner schlimmsten Zeit) von ärztllichen Vorsorgeuntersuchungen will ich gar nicht reden.

Ich wurde so „erzogen“, dass ich für die Bedürfnisse meiner Familie zuständig war. Sie brauchten mich für sich (z.B. um ihren eigenen niedrigen Selbstwert zu erhöhen). Kurz dazu: gestern telefonierte ich mit einer Bekannten und erzählte ihr wie froh ich sei, endlich eine neue Arbeitsstelle gefunden zu haben. Sie meinte: „ja gell, ist ein schönes Gefühl wieder gebraucht zu werden!“ Nein finde ich nicht. Da stellen sich mir die Haare auf. Ich wurde mein ganzes Leben nur „gebraucht“, davon habe ich die Schnauze voll!

Ich hatte also dafür zu sorgen, dass der Bedürfnis-und Gefühlshaushalt meiner Eltern und Schwester im Lot war. Ich als eigenständige Person zählte nicht. Das ist psychische Gewalt. Narzisstischer Mißbrauch! Was ich wollte interessierte keinen, wurde schlecht und lächerlich gemacht oder einfach ignoriert.

Und so ging das immer weiter, ich erfühlte die Bedürfnisse der anderen und erfüllte sie im vorauseilenden Gehorsam ganz unterwürfig. Ich fühlte mich für die anderen Menschen verantwortlich. Das ist Coabhängigkeit in Reinform.

Mich vergaß ich. Mich gab es kaum. Meine Wünsche, Gefühle, Bedürfnisse durfte es nie geben, also beschäftigte ich mich damit auch nicht weiter. Und lebte als Hülle mehr schlecht als recht.

Dann  wurde ich sehr krank und spürte, dass ich mich so nicht länger benutzen lassen möchte und brach vollständig den Kontakt zu meiner Familie ab (es war natürlich ein langer Weg, das würde hier zu weit führen). Erst vor kurzem wurde mir klar, dass ich im selben Jahr, als ich den Kontakt abbrach (und Telnr/Mailadresse ect. wechselte) ich auch anfing mich mit fremden Männern zu treffen. Nun war ich wieder für die Bedürfnisse der anderen zuständig. Ich war es ja gewohnt. Das kannte und konnte ich sehr gut!

Und so führte ich die Verleugnung meiner Gefühle und Bedürfnisse fort und setzte an erster Stelle wieder die Anderen….

Warum der Ausstieg so schwierig ist Teil 1

Ich schreibe seit einiger Zeit mit einer Frau über meine Zeit und den Ausstieg aus der Se*arbeit. Offen mit jemanden darüber zu reden fällt mir nicht leicht. In meinem Umfeld weiß nur ein Mann (klar ehemaliger Kunde) von meinem Doppelleben. Aber ich merke ich muss darüber reden/schreiben, sonst platze ich.

Diese Frau ist Ärztin und hatte noch keine Berührung mit diesem Milieu. Daher ist sie recht offen und auch unvoreingenommen. Das sie das alles nicht so kennt, stellt sie natürlich auch Fragen. Diese helffen mir, mich in Ruhe (deswegen per Mail) damit auseinander zu setzen und ehrlich mir selbst gegenüber zu werden.

Eine der Fragen lautet natürlich: „warum fällt es Dir so schwer damit aufzuhören?“

Das ist sehr komplex und braucht mehrere Teile zur Antwort. Im Netz fand ich die sehr interessante Seite von Frau Mau und einen sehr passenden Absatz davon habe ich mal reinkopiert:

https://huschkemau.de/2017/06/15/warum-ist-der-ausstieg-aus-der-prostitution-so-schwer/

Überhaupt: das Trauma. Die meisten Prostituierten leiden an Posttraumatischer Belastungsstörung in der Qualität derer von Folteropfern. Sie leiden an Angststörungen, an fehlendem Selbstbewusstsein, an Zwängen – z.B. an Waschzwängen oder an der zwanghaften Wiederholung sinnloser Rituale, die vermeintlich Sicherheit schaffen sollen. (Ich muss dauernd auf Holz klopfen, wenn ich angstbesetzte Gedanken habe. Und die habe ich oft. Kann ich das nicht tun, folgt eine Panikattacke. Ich weiss, wie bescheuert das für Außenstehende ausschaut und dass es am Ende sinnlos ist, aber ich kann nicht anders.)

Als ich vom Bordell zum Escort wechselte, war ich nicht mehr gewöhnt, am Tag rauszugehen. Ich konnte das Tageslicht nicht aushalten. Und all die vielen Leute nicht. Wem täglich und stündlich die Grenzen verletzt wurden, der kann sich mitunter nicht mehr in der Nähe von Menschen aufhalten, weil das innere Alarmsystem ständig signalisiert: „Das ist ein Mann, Gefahr!“ Davon, wie es ist, „draußen“ zu sein und getriggert zu werden und Flashbacks zu haben, will ich an dieser Stelle gar nicht reden. Albträume und andere Schlafstörungen machen müde. Es ist fast unmöglich, die Fassade aufrecht zu erhalten und in ein „normales Leben“ zu wechseln. Man fühlt sich zudem „anders“ als die Anderen, minderwertiger, verletzter. Kaputt. Menschen sind einem unheimlich, die „normalen“ Menschen erst recht, denn sie führen einem vor Augen, wie man nicht mehr ist: ohne Sorgen, ohne Verletzungen, ohne Ängste. Ganz. Nett. Gut drauf. – Um die Prostitution zu ertragen, muss man sich vom eigenen Körper abspalten (Dissoziation). Das Problem ist, man kann danach eben nicht einfach wieder reinschlüpfen. Der Körper bleibt ohne Kontakt zur Seele, zur Psyche. Man fühlt sich einfach nicht mehr. Ich hab mehrere Jahre gebraucht um zu lernen, dass das, was ich manchmal fühle, Hunger ist. Und das man dann was essen sollte. Oder dass das, was ich gerade empfinde, zeigt dass ich friere. Und dass man sich dann wärmer anzieht. Es ist mühsam zu lernen oder wieder zu lernen, dass der Körper Bedürfnisse hat, ihn zu fühlen, und noch mühsamer, sich in „selfcare“ zu üben. Nicht mehr so scheisse mit sich selbst umzugehen. Sondern zu schlafen, wenn man müde ist – weil man nicht in einem 24 Stunden Bordell hockt und den nächsten Freier machen muss. Dass man nicht mehr frieren muss – weil man nimmer am Straßenstrich steht bei Minustemperaturen. Dass man Situationen, die Schmerzen verursachen, ändern kann, statt den Schmerz wegzumachen – mittels Dissoziation, Drogen oder Alkohol. – Aber so leicht entlässt das Trauma einen nicht: denn man gewöhnt sich dran. Das Phänomen nennt sich „trauma bonding“: und das ist auch der Grund dafür, warum Frauen, die von ihren Männern geschlagen werden immer wieder zurückgehen. Traumatische Situationen können abhängig machen, denn es wird dabei viel Adrenalin ausgeschüttet – und das macht süchtig. Zudem ist für Menschen, die so viel Gewalt erlebt haben wie sie in der Prostitution stattfindet, eine Gewaltsituation etwas, was sie kennen. Ich habe von klein auf erlebt: da, wo ich Angst habe, wo mir Schmerzen zugefügt werden, wo ich abgewertet werde, da gehöre ich hin. Das ist Zuhause. Deswegen habe ich bis heute damit zu kämpfen, mich in Situationen die mich gefährden dagegen zu entscheiden und wegzugehen. Sie sind scheisse, aber sie sind mir bekannt und vertraut. Situationen, in denen Menschen nett zu mir sind, nicht schreien, nicht schlagen, nicht missbrauchen, sind mir unheimlich. Ich fühle mich prompt minderwertig. Meine Seele signalisiert: „Hier stimmt was nicht. Das ist fremd.“ Prostitution ist wie selbstverletzendes Verhalten. Nein, Prostitution IST selbstverletzendes Verhalten.

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Amat victoria curam