Wenn Freiheit unfrei macht

https://www.focus.de/familie/eltern/familie-heute/michael-winterhoff-im-interview-kinderpsychiater-es-waechst-eine-generation-unfreier-narzissten-heran_id_11620535.html

Als ich den Artikel letztens zufällig fand, musste ich schwer schlucken. Denn ich erkannte mich da sehr wieder.

Ich kreise auch viel um mich selbst, weil es sonst keiner tut, weder damals noch heute. Ich habe auch eine geringe Frustationstoleranz, ich zeige ähnliche Verhaltensmuster wie der Psychiater sie da beschreibt.

Ich bin aufgewachsen ohne wirkliche Beziehungspersonen. Emotional vernachlässigt. Mutter war mit Alk, arbeiten und Männern beschäftigt und mein Vater damit voller Angst zuhause zu sitzen und nichts zu machen (kein Haushalt, nichts, außer ein wenig an Radio, Auto ect. Rumzuschrauben) und sonst mit jeglicher Anforderung an ihn völlig überfordert zu sein. Emotional reife Menschen waren nicht verfügbar.

Bei uns daheim verdrehten sich die Rollen: ich sorgte für meine Eltern, emotional, aber auch für Papa ging ich mal einkaufen, bei Muttern kontrollierte ich wieviel sie trank und ich hörte mir ihre Sorgen und Probleme an. Zum kotzen.

Mit meinen Ängsten, Sorgen, Unsicherheiten blieb ich alleine. Ich machte alles nur mit mir aus. Es interessierte ja keinen und so verschloß ich mich immer mehr….

Ich sagte mal halb belustigt zu meiner Therapeutin: Bei uns zuhause gab es nur zwei Regeln: In der früh leise zu sein, sonst gibts von Papa Haue (ich weiß nicht wie oft das wirklich vorkam, kann mich aber an eine Situation erinnern, als er wild geworden in die Küche stürmte und meiner Schwester und mir dermaßen eins aufn Oberschenkel gab, das wir danach verglichen welcher Händeabdruck größer und röter war) und die 2. war: wenn Papa pfeift (wir wohnten aufm Land) dann sofort nach Hause.

Aber einen wirklichen Halt, einen Bezugsrahmen, eine Orientierung…die gabs nicht.

Und genau das ist gerade in Kindergärten en vogue: Das völlig freie Spiel und das viel zu lange.

ZITAT: Offene Kitas sind hochgradig schädlich für die Kinder, weil sie sich hier psychisch nicht entwickeln können. Ihnen wird eine Welt vorgegaukelt: Du kannst alles alleine, du machst alles alleine, das Leben besteht nur aus dir und Lust und Laune. Das ist eine große Katastrophe.

Die Kinder sind damit überfordert! Wie heißt es in dem Artikel: „Kein Kind sollte diese Verantwortung tragen!“

Hui dachte ich, das kommt dir doch bekannt vor.

Ich trug nochviel mehr: Die Sorgen um Mama wenn sie trank, die Sorge um Papa wenn er so komisch guckte und sich immer räusperte (voller Angst wie ich heute weiß).

In meiner Jugend wurde es ja nicht besser: Das ich mal Klassen-und Schülersprecherin war bekam glaub ich gar keiner mit, das ich mir meine Schul-und Sportsachen jeden Abend selber zusammensuchte war für mich normal, ebenso das niemand sich nach Hausaufgaben erkundigte oder sie gar mal einsah.

Irgendwann fing ich an meine Mutter und Stiefvater zu beklauen. Nur Silbergeld, das fiel nicht so auf, aber damals gabs ja noch die 5-DM-Münzen, da kam schon was zusammen. Konsequenz? Keine.

In der Berufsschule kam ich grundsätzlich Montags erst zur 2.Stunde (ich verbrachte ja das Wochenende im fernen München) aber oft genug fehlte ich schlicht ganz, weil ich mit einer Freundin lieber im Mc.D. saß Kaffe soff und qualmte. Im Zeugnis stand: LaLuna fehlte an 35 Tagen, davon 0 unentschuldigte. Das stimmte gar nicht! Keiner packte mich mal am Schlawittchen und sagte: Hör ma so geht das nicht….

Ich war frei.

Und einsam. Und ziellos.

Ich war beziehungslos: Mir hat nie jemand was vorgeschrieben oder sich mal mit mir zusammengesetzt und was erklärt, besprochen, sich was gemeinsam angeschaut, eine Lösung gesucht. Nix. Nada. Ich war sehr früh, sehr selbstständig. Das nahm mir auch Unbeschwertheit und ein Stück Kind-sein.

Wollte ich ein Nasenpiercing, nach kurzem Protest bekam ich es doch, genauso wie die teure Jacke und dann mit 16: ich zieh aus. Es kam keine Grenze. Meine Mutter zu schwach, mein Vater nicht so wirklich daran interessiert-solange ich ihm noch genug Aufmerksamkeit zukommen ließ: mach mal. Als ich mit einem Tatoo heimkam (mit 15!) war die Reaktion: Du mussst ein leben lang damit rumlaufen.

Heute krieg ich Pickel wenn mir jemand was vorschreibt. Ich weiß jetzt auch warum. Und ich verstehe mich besser, warum ich so eine extreme Selbstbestimmung brauche: ich kenn es nicht anders. Und vor Einschränkungen hab ich angst.

ZITAT: Offene Kitas sind hochgradig schädlich für die Kinder, weil sie sich hier psychisch nicht entwickeln können. Ihnen wird eine Welt vorgegaukelt: Du kannst alles alleine, du machst alles alleine, das Leben besteht nur aus dir und Lust und Laune. Das ist eine große Katastrophe.

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